Schon bei der Anreise stellt man fest – die Country Night Gstaad steht wieder an. Überall im Ort sind tolle Westerndekorationen, in der Promenade sind Menschen mit Cowboyhüten und Stiefeln unterwegs, aus den Läden erklingt Countrymusic. So wird der Besucher schon mal auf das bevorstehende Wochenende eingestimmt. Die Country Night Gstaad jährt sich in diesem Jahr zum 33sten Mal.
Am und um das Galazelt findet man ein bekanntes Szenario vor. Draußen sind einige Stände mit leckerem Essen, allerlei Spezialitäten und verschiedene Fahrgeschäfte, drinnen einige Bars, Catering und ein CD-Shop hat sein breit gefächertes Angebot aufgestellt. Auch die Tonträger der auftretenden Künstler sind hier natürlich im Sortiment. Außerdem gibt es eine Bühne für die Aftershow-Party und einige andere Darbietungen im Rahmenprogramm. Man fühlt sich wohl.
Am Freitag und Samstag treten die Künstler in derselben Reihenfolge auf. Pünktlich um 18:00 Uhr wird die Country Night Gstaad von Moderator Jürg Hofer eröffnet. In mehreren Sprachen begrüßt er das Publikum und gibt einen Ausblick auf das, was noch im Laufe des Abends kommen wird.
Rhonda Vincent & The Rage
Der erste Act der Country Night Gstaad ist niemand Unbekanntes im Berner Oberland. Rhonda Vincent ist mittlerweile schon das vierte Mal bei diesem Festival dabei. Ihre Band „The Rage“ hat sie natürlich auch mitgebracht und sie bietet mit ihren Musikern Bluegrass vom Allerfeinsten und in sehr hoher Perfektion. Dabei holt sie jeden ihrer Musiker immer wieder einmal ins Rampenlicht. Wir erleben unglaubliche Solis von Hunter Berry auf der Fiddle, von Jeff Partin auf der Dobro, von Aaron McDaris auf dem Banjo und der Neuzugang Zack Arnold brilliert auf der akustischen Gitarre. Der Mann am Kontrabass ist seit vielen Jahren Mickey Harris. Er hat unter anderem auch ein Solo-Album veröffentlicht, aus welchem er mit „Tractor for sale“ eine kleine Kostprobe gibt. Stimmlich ist die komplette Band eine in sich verschmolzene Einheit. Das zeigt sich auch ganz besonders bei dem Song „There’s a Record Book“, welchen Rhonda Vincent nur mit ihrer Gitarre begleitet. Für den letzten Refrain kommen die restlichen Musiker wieder auf die Bühne und vollenden den Titel mit einem wundervollen mehrstimmigen Satzgesang, der beim Publikum Standing Ovations auslöst. Rhonda ist übrigens eins der neuesten Mitglieder in der Grand Ole Opry, in welcher ihr Gitarrist Zach nun mit seinen gerade mal 22 Jahren bereits schon über 20mal auftreten durfte. Die Setliste von Rhonda Vincent führt uns durch die Welt des Bluegrass und des Gospel. Dabei hat sie auch komplett neue Interpretationen von bekannten Titeln mit im Gepäck. Natürlich sind Klassiker wie „Orange Blossom Special“ und „Mama tried“ mit im Programm. Bei „All about the Banjo“ zeigt uns Aaron McDaris eindrucksvoll was man aus einem Banjo alles herausholen kann. Zach Arnold präsentiert uns seine Version des Joe Nichols Songs „What’s a guy gotta do“ in einer bluegrassig angehauchten Version, während Rhonda zum Ende des Sets dem Titel „Unchained Melody“ ihren eigenen Stempel aufdrückt und vom Publikum erneut Standing Ovations erntet. Es ist aber noch Zeit für eine Zugabe und so folgt der „Muleskinner Blues“ als krönender Abschluss. Hier hält es keinen mehr auf den Sitzen und das Galazelt verwandelt sich in einen Hexenkessel – wohlgemerkt nicht zum letzten Mal an diesem Abend.
Bastian Baker
Mit dem jungen und sympathischen Schweizer Künstler Bastian Baker betritt nun ein Lokalmatador die Bühne. Seine fünfköpfige Band begleitet ihn durch die kommenden gut 60 Minuten voller Entertainment, Witz und natürlich bester Countrymusic. Bastian versteht es, mit dem Publikum umzugehen. Trotz seines jungen Alters hat er dennoch schon einiges an Bühnenerfahrung gesammelt. So war er doch 2018 für 77 Shows mit Shania Twain unterwegs gewesen. Auch hat er zwischen 2011 und heute schon fünf Alben veröffentlicht. Aus allen diesen Scheiben gibt es bei ihm nun einen bunten Querschnitt. Seine allererste Single „Lucky“ wird ebenso gespielt wie einige seiner aktuellen Titel. „Take my hand“ und „Call me in L.A.” sind ebenfalls im Programm. Letzterer wird gleich als Drittes gespielt und Bastian hat das Publikum damit fest in seiner Hand. Es wird mitgeklatscht und mitgesungen, gerade das jüngere Publikum ist bei seinen Songs voll dabei und absolut textsicher. Man kann behaupten, Bastian Baker ist ein Künstler, der auch die jüngeren Fans anspricht und sie von der Countrymusic überzeugen kann – wie man sieht. Seine Liebe zu Garth Brooks macht Bastian bei seiner Interpretation von „If tomorrow never comes” deutlich, bei dem er ohne Band und nur mit seiner Gitarre auf der Bühne steht. Danach gibt es Standing Ovations und Gänsehaut bei allen im Raum. Als eine kleine Überraschung holt er noch Caroline Marquard zu sich auf die Bühne. Beide haben sich in den USA beim Songwriting kennen gelernt und natürlich auch einige Songs gemeinsam geschrieben. Wir erleben daher „Blame it on me” in einer wundervollen Duettversion. Mit „Five Fingers“ naht schon das Ende seiner Show. Auch Bastian bekommt Standing Ovations und darf nicht ohne eine Zugabe die Bühne verlassen. Erneut wird das Galazelt zum Hexenkessel und das Publikum tobt. Schade, dass seine Spielzeit schon vorbei ist. Bastian Baker könnte man sich live auf jeden Fall länger anhören.
Carly Pearce
Nach der großen Pause geht es pünktlich weiter mit der amtierenden CMA- und ACM-Sängerin des Jahres. Wir sprechen von der aus Kentucky stammenden Caryl Perace. Gut gelaunt betritt sie mit ihren vier Musikern die Bühne und legt auch sofort mit „Diamondback“ los, dem ersten Song ihres Albums „29 – Written In Stone“. Dabei springt der Funke sofort auf das Publikum über. Carly erzählt zwischen den Titeln immer wieder etwas aus ihrem Leben. So gesteht sie, ein großer Fan von Loretta Lynn zu sein, was sie zu dem Song „Dear Miss Loretta“ inspiriert hat. Titel wie „Coalminers Daugther“ und „Blue Kentucky Girl“ gehörten schon immer zu ihren Favoriten. Im Alter von 16 Jahren arbeitete sie in „Dollywood“, dem Vergnügungspark von Dolly Parton, wo die im Showprogramm gesungen hat. Umso mehr war sie überrascht, als jene Dolly Parton sie vor kurzem eingeladen hat, das neue Mitglied in der Grand Ole Opry zu werden. Mit „Your Drinkin‘, My Problem” hat sie nach kurzer Zeit das ganze Galazelt auf ihrer Seite. Es wird mitgeklatscht und auf den Plätzen mitgetanzt. Charmant und ehrlich führt Carly durch ihr Programm und scherzt dabei immer gerne mit dem Publikum. So wird schon mal in eine Kamera der Zuschauer gewinkt oder gar eine Grimasse geschnitten. Ganz ungeniert erzählt uns die Künstlerin von ihrem aktuellen Album und wie es zu seinem Namen kam. Im Alter von 29 Jahren hat Carly Pearce geheiratet und sich wieder scheiden lassen – alles in einem Jahr. Daher war die Namensgebung für sie relativ einfach. Dafür hat das Album eine Nominierung für das „CMA Album of the year“ bekommen. Auch ihre allererste #1 Single „Every little thing” erntet tosenden Beifall. Eine kleine Hommage an Shania Twain hat sie auch im Gepäck. So performt sie einen Teil von “Man, I feel like a woman“. Generell mag sie Country aus den 90ern, so hat sie auch ihre eigene Version von „Cowboy takes me away“ eingesungen. Die Duette „I hope you’re happy now” und “Never wanted to be that girl” müssen ohne Duettpartner auskommen. Mit dem Lee Brice-Duett beendet Carly Pearce ihr Set und lässt es sich nicht nehmen, am Bühnenrand für die Fans Fotos und Autogramme zu geben. Abermals erleben wir einen Hexenkessel mit Standing Ovations im Gstaader Galazelt. Ehrlich, charmant und witzig – das ist Carly Pearce.
Marty Stuart & His Faboulous Superlatives
Nun wird es Zeit für den letzten Act des Abends. Nach der Begrüßung durch Marcel Bach und die Nennung der Sponsoren wird eine Legende der Countrymusic angekündigt. Fünf Grammys hat er auf dem Kaminsims stehen, zwei Duzend Alben gehen auf seine Kappe und noch unzählige Zusammenarbeiten mit anderen Künstler stehen auch in seinem Lebenslauf. Marty Stuart aus dem Bundesstaat Mississippi betritt mit seinem Cousin Kenny Vaughan, Harry Stinson und Chris Scruggs die Gstaader Countrybühne. Gewandet in handgefertigte Cowboy-Anzüge starten sie mit dem Instrumental „La Tingo Tango“ den Endspurt der Country Night. Mit dem Titel „Tempted“ spornt Marty das Publikum zum Mitmachen an. Alles klatscht und tanzt und bejubelt die sympathische und spielfreudige Band. Jeder seiner Musiker wird für Solostücke ans Mikrofon geholt, dabei stehen der Spaß und die Spielfreude immer im Vordergrund. Emotional wird es, als Marty die Geschichte von dem Grundstück zwischen seinem und dem Haus von Johnny Cash erzählt, auf dem einst Roy Orbison sein Haus baute, aber seine Kinder bei einem Brand ums Leben kamen. Johnny Cash hat dann das Grundstück erworben, damit niemand mehr darauf bauen kann, weil es jetzt „heiliger Boden“ sei. Stattdessen pflanzte er Apfelbäume darauf. Nach dem Tod von Johnny Cash hat Marty das Grundstück erworben, um es Johnny gleich zu tun. Nach dieser bewegenden Geschichte stimmt er den Song „Black Bird“ an, welchen er eigentlich nicht mehr live spielen wollte. Seit 1980 war Marty Stuart viele Jahre als Gitarrist in der Band von Johnny Cash dabei. Seine Liebe zu seinem damaligen „Chef“ zeigt sich auch in seiner Setliste, in welcher Songs wie „Ring of fire“ und der legendäre „Folsom Prison Blues“ vorkommen. Auch Marty Stuart & His Fabulous Superlatives verstehen es, das Publikum mitzureißen und bringen es immer wieder zum Lachen. Entertainment pur! Auch der Klassiker „El Paso“ von Marty Robbins bringt Marty & Band tosenden Beifall ein. Selbstverständlich geht auch Marty Stuart nicht ohne Zugabe und tobenden Standing Ovations von der Bühne und beschließt die diesjährige Country Night Gstaad mit viel guter Laune beim Publikum.
Fazit der Country Night Gstaad 2022:
Bei der diesjährigen Country Night wurden wieder einmal viele Facetten der Countrymusic abgedeckt. Es gab etwas für die Bluegrass-Fans und die Freunde von Classic Country. Auch das junge Publikum wurde heuer wundervoll bedient. Unterm Strich sind dieses Mal vier Headliner auf der Bühne gestanden, von denen jeder einzelne eine großartige Show abgeliefert hat, sowohl freitags als auch samstags. Marcel Bach und sein Team haben wieder einmal sämtliche Nägel auf den Kopf getroffen und die eigene Messlatte wieder ein Stückchen höher gelegt. Wir sind gespannt auf die Country Night Gstaad 2023!
Rainer M. Pech
für Countrymusic24.com
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